2004-12-14

Die FAZ schrieb kürzlich: Das Denken wird chinesisch. Herr Wang ist stolz. Schon auf der Fahrt vom Flughafen ins Zentrum erzählt er vom Bau der sechsten Ringstraße um die Hauptstadt, von der geplanten U-Bahn-Verbindung, von den gigantischen Stadtplanungsvorhaben für die Olympischen Spiele 2008 und den neuen Vierteln im Norden, Westen und Osten der Stadt. Chinas Hauptstadt wird europäischer, zugleich aber wird Europa, ja die ganze Welt chinesischer. In der Fülle an Wirtschaftsmeldungen, den Vertragsabschlüssen, Grundsteinlegungen, Investitionsvorhaben und Auftragsvergaben, die jede Woche aus China vermeldet werden, konnte eine sensationelle Meldung beinahe untergehen, die nicht nur symbolisch eine Zäsur bedeutet: Die chinesische Computerfirma Lenovo hat die komplette Sparte Personal Computer von IBM übernommen. Mit dem Kauf steigt das chinesische Unternehmen ... zum drittgrößten PC-Hersteller der Welt auf. Das ist noch kein Bedrohungsszenario, doch wird der Auftritt der Chinesen auf der wirtschaftlichen Weltbühne bald ebenso alltäglich sein wie reiche Touristengruppen aus Peking im Louvre und in der Heidelberger Altstadt.
Nicht nur Peking, nicht nur Schanghai, nicht nur die großen Wirtschaftssonderzonen wie Chongqing oder Shenzhen - das ganze Land nimmt Anlauf zu einem neuen, gewaltlosen, aber nicht minder radikalen Großen Sprung, bei dem Olympia ebenso wie die Expo 2010 in Schanghai nur Zwischenstufen darstellen. Fast täglich geben sich Delegationen aus Europa, Japan und Amerika die Klinke in die Hand. Kurz vor Schröder war Chirac da, und kein westlicher Politiker reist ab, ohne irgendwelchen Fabrikeinweihungen oder Vertragsabschlüssen beigewohnt zu haben ... das neue Olympiastadion, das spektakuläre Fernsehzentrum, ein 600 Millionen-Euro-Projekt, für VW die Autostadt Anting, deren Prunkstück die neue Formel-1-Strecke ist. So erscheint China heute wieder als Reich des einsamen Superlativs, als wahres Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Nicht nur die rein strategisch denkenden Politiker vergessen dabei gern, daß die Grenzen immer dann sehr schnell erreicht sind, wenn das Macht- und Meinungsmonopol der Partei gefährdet ist.
Trotz der Allgegenwart staatlicher Kontrollinstanzen verbindet man mit dem Computer und dem Internet die Hoffnungen auf die Entstehung eines offenen, kritischen Diskurses. Vielleicht wird sich ja IBM einmal als das trojanische Pferd des Westens herausstellen, als der tödliche, nicht einzudämmende Virus, der das System zum Absturz bringt. Die Geschichte des Computers könnte dann erst in China in seine machtvollste, seine politische Phase eintreten. Eine neue Ära mag dann wirklich hier begonnen haben.

0 Comments:

Kommentar veröffentlichen

<< Home