2005-01-06

Der Stern schreibt über die Fabrikhalle der Welt. Chinas Rohstoffhunger fegt die Stahl- und Kupfermärkte leer, sein Durst nach Öl treibt die Preise so in die Höhe, dass deutsche Autofahrer an der Zapfsäule fluchen. Eine düstere Prophezeiung Napoleons scheint sich zu erfüllen: Wenn der schlafende Drache erwacht, erzittert die Welt. Wegen der niedrigen Löhne und eines Marktes mit Milliarden Kunden verlagern deutsche Unternehmer Arbeitsplätze en gros ins Reich der Mitte. "Statt 2.000 Software-Entwickler in Deutschland kann ich in China 12.000 anstellen", sagt Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Der Stundenlohn eines chinesischen Arbeiters beträgt im Schnitt 70 Cent, der eines deutschen 16 Euro.
In Deutschland und anderen Industrienationen geht derweil die Angst um, von den Chinesen überrannt zu werden. Leitartikler beschwören den Aufstieg des Entwicklungslandes zur ökonomischen Supermacht, deren Wirtschaft seit zwei Jahrzehnten um jährlich knapp zehn Prozent gewachsen ist. Die Fabrikhalle der Welt ist China schon heute. Das Land produziert mehr als die Hälfte aller weltweit verkauften Kameras, ein Viertel aller Kühlschränke, sechs von zehn Fahrrädern und 70 Prozent aller Feuerzeuge. Jeden Tag essen Millionen Italiener Chinesisch, ohne es zu wissen. 20 Prozent des Ketchups für Spaghetti und Pizza stammen aus dem Reich der Mitte. Wer in Amerika Brot kauft, kaut oft chinesisches Haar. Der Mehlzusatz Cystein wird daraus gewonnen. China hat Indien als größten Lieferanten abgelöst.
Doch die Chinesen wollen weg vom Image des Billigproduzenten. Die Regierenden träumen von High-Tech-Schmieden und davon, dass bald mehr als 50 der 500 weltgrößten Unternehmen chinesisch sind. Der Elektronikkonzern TCL könnte es als Erster schaffen. Vor zwei Jahren kaufte er den bankrotten deutschen Fernsehhersteller Schneider zum Schnäppchenpreis von 8,2 Millionen Euro. Die TCL-Manager lassen keinen Zweifel daran, wie aggressiv sie vorgehen. Sie reden von einem Tiger- und Drachenplan. Sie glauben, wie der ehemalige deutsche Botschafter in Peking, Konrad Seitz, dass die Globalisierung nicht in ein neues amerikanisches, sondern in ein chinesisches Jahrhundert münden werde.

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