Peking gestattet Debatte über Tabu-Themen
Neue diskursive Offenheit in China?:
In China werden jedes Jahr mehr Menschen hingerichtet als im gesamten Rest der Welt. Jetzt darf darüber gesprochen werden. Deutsche und chinesische Experten diskutierten in Peking erstmals Tabu-Themen: Folter, Organentnahme bei Todeskandidaten und Justizirrtümer. "Grausam und unmenschlich" sei die Todesstrafe. Deshalb sollten sich Chinas Politiker "schnell dem weltweiten Trend" anschließen - und sie abschaffen. Das forderte gestern Professorin Yue Liling von Pekings Universität für Politik und Rechtswissenschaft. Die Juristin steht mit ihrer Meinung nicht allein. Unter chinesischen Rechtsexperten setzt sich immer mehr die Meinung durch, dass Hinrichtungen im Reich der Mitte nicht mehr zeitgemäß sind. So lautet auch das Fazit einer bemerkenswerten Konferenz "über die Reform des Kriminalrechts und der Kriminaljustiz" von chinesischen und deutschen Juristen, die heute in Peking zu Ende ging. Zum ersten Mal wurden zu einer solchen Veranstaltung Journalisten zugelassen. Das Kolloquium fand allerdings nur in kleinem Kreis statt. Anwesend: Wissenschaftler, Anwälte, einige Richter des Obersten Gerichtshofs und ein paar Studenten. Es fehlten Polizisten und jene Juristen, die in Gerichtssälen Todesstrafen fordern und verhängen. Rechtsprofessorin Yue zerpflückte das von Chinas Politikern immer wieder genannte Argument, nur die Todesstrafe könne Kriminelle abschrecken. Auf Drogenhandel stehe zum Beispiel erst seit 1980 der Tod, gleichwohl werde nach wie vor intensiv mit Rauschgift gedealt. "Das zeigt, dass selbst die härteste Strafe bei Abschreckung und Prävention nicht viel hilft." Yue gestand allerdings ein, dass sie mit ihrer Forderung, die Todesstrafe "umgehend" abzuschaffen, unter ihren Kollegen in der Minderheit sei. Die meisten Juristen halten China noch nicht für "reif", Hinrichtungen völlig auszusetzen.
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