2004-12-09

Chinas aufstrebende Yuppie-Erfolgsgeneration steht heute im Mittelpunkt des Dossiers der Zeit: Es rumpelt, als Yun Li den Wagen aus der Tiefgarage lenkt. Die schmale Straße vor dem Büro hat Löcher, wie so viele Straßen in Peking. Jedes Loch ist eine Beleidigung für Yun. Er hätte den kleinen Isuzu-Jeep nehmen können, mit dem er sonst zur Arbeit fährt, oder den Volvo, der ist nicht so tief gelegt. Aber er hat seinen Lieblingswagen gewählt, den blauen Porsche 911 Carrera. Erst 2500 Kilometer auf dem Tacho und kein einziger Kratzer im Lack. Er muss nachdenken, und nur im Porsche hat er gute Ideen. Er biegt in eine größere Straße ein. Der Himmel ist trüb vom Smog. Die Fußgänger atmen schweflige Luft, Yun den Geruch von Leder. Manchmal wird er gefragt, ob der Porsche ein Ferrari sei – Peking ist die Stadt der Staus, aber die Leute haben immer noch keine Ahnung von Autos. Es gibt wohlhabende Pekinger, die sich jedes Jahr ein halbes Dutzend Ferraris und zehn Porsches leisten. Der erste Porsche-Club Chinas hat in der Hauptstadt 124 Mitglieder, landesweit sind es doppelt so viele. Yun hat ihn gegründet. Yun Li ist 31 Jahre alt, ein zu groß geratener Schuljunge mit eckiger Brille und Schlabberpulli. Er besitzt acht teure Autos, darunter drei Porsches, die in China fast doppelt so viel kosten wie in Europa, wegen der Zölle. Er leitet in Peking eine Druckerei und zwei Werbeagenturen, hat insgesamt 70 Angestellte. Am meisten verdient er mit einer Firma, die TV-Werbezeit verkauft, jeden Tag zwei Minuten zur besten Sendezeit auf dem Staatssender CCTV. Aber er will weiterkommen, viel weiter – und ein noch größeres Geschäft aufziehen. »Ich bin stur wie dieses Auto«, sagt er. ... Die Schrittmacher und Gestalter des Wandels sind junge Chinesen wie Yun Li, die kein Risiko scheuen und an eine bessere Zukunft glauben. Deren Leben sich so rasend ändert wie das ganze Land. Mit ihnen muss man reden, um das neue China zu verstehen: mit der Schauspielerin, die die erste Sexszene am Pekinger Theater spielt, Vorbotin einer sexuellen Revolution; mit der Galeristin, die den Kunstgeschmack des Westens nach Shanghai holt und dessen Lebensstil vorführt; aber auch mit Verlierern der neuen Entwicklung wie jenem Bauernrebellen, einem von immer mehr Unzufriedenen, die es wagen, sich gegen Korruption und Rechtlosigkeit aufzulehnen; oder mit dem Industriearbeiter, der einen verbotenen Streik anzettelt.

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