Peking vernachlässigt die Sozialpolitik
Die Zeit meint unter dem Aufhänger "Das Los der Vogelfreien", dass die chinesische Führung auf ihrem strammen Kapitalismuskurs den Bogen überspannt und das soziale Netz reißen lässt:
Sie sagt von sich: »Ich habe überlebt.« Sun Wenjuan ist dem Tod entronnen. Dabei hätte die 22-Jährige nie in Lebensgefahr geraten müssen. Sie lag ja bereits in einem Krankenhaus. Doch die Ärzte wollten die junge Frau sterben lassen – sie konnte die Behandlung nicht mehr bezahlen. Sun zitiert ein altes chinesisches Sprichwort: »Die Kranken heilen und die Sterbenden retten.« Sie sagt, das Sprichwort gelte nicht mehr, wenn es um das Leben einer Armen geht. »Heute zählt in China nur das Geld«, sagt Sun. Sie trägt kurz geschorene Haare, ein rosa TShirt über zerschlissenen Blue Jeans und Plastiksandalen. Sie lebt am Ende eines staubigen Gangs in einer Ziegelhütte ohne Küche und Bad. Sie ist eine der Wanderarbeiterinnen, die Chinas Hauptstadt Peking zur glänzenden Olympiametropole aufbauen. Pech nur, dass Sun, sechs Monate nachdem sie eine Arbeit als Kellnerin im Kurhotel der staatlichen Pekinger Telefongesellschaft Beijing Telekom gefunden hatte, an einer schweren Harnvergiftung erkrankte. Sie brauchte eine neue Niere, doch ihr Arbeitgeber Beijing Telekom hatte gegen die gesetzliche Pflicht verstoßen, sie bei der Krankenversicherung anzumelden. Jetzt verweigerte die Firma weitere Hilfe. ... Sun traf kein ungewöhnliches Schicksal. Millionen Chinesen müssen jedes Jahr frühzeitig sterben, weil sie für Arzt und Medikamente nicht bezahlen können. »48,9 Prozent der Bevölkerung können sich im Krankheitsfall keinen Arztbesuch leisten, und 29,6 Prozent werden ärztlich nicht behandelt, wenn es notwendig wäre«, räumt Vizegesundheitsminister Gao Qing ein. Der Krankennotstand ist nur Teil eines noch viel größeren Problems: In China hat die Marktwirtschaft die sozialen Netze von Maoismus und Planwirtschaft zerrissen.
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