2006-07-23

Essen Chinesen nun Föten oder nicht?

Spätestens seit dem Film Dumplings -- delikate Versuchung mit Bai Ling dürfte sich ein größeres Publikum mit der Frage beschäftigt haben, inwiefern Föten als besondere chinesische Spezialität gelten. Auch im Web kursieren aktuell wieder seltsame Geschichten und Bilder von "Babyfressern", mit denen sich Spiegel Online auseinandersetzt:
Die Welle der E-Mails begann am letzten Wochenende. Offensichtlich tief verstörte Leser wiesen da auf eine Webseite hin oder leiteten Fotos weiter, die sie per E-Mail zugeschickt bekommen hatten. Darauf zu sehen: Ein asiatisch aussehender Mann, der allem Anschein nach ein gebratenes Baby verspeist. ...Die aktuelle Quelle dieser Bilder ist ein Bericht, der am Freitag letzter Woche auf der China-kritischen Webseite China-Intern veröffentlicht wurde und dort bis heute zu sehen ist. Seine Behauptung unter der Schlagzeile "Kannibalismus in China": "Frisch abgetriebene Föten aber auch überzählige, also weibliche Babys werden hauptsächlich in Regierungskrankenhäusern in Thermosbehältern oder Gläsern tagsüber gesammelt und mit nach Hause zum verspeisen genommen. Ebenso nimmt man im 5. bis 8. Monat schwangeren Frauen unter Zwang die Babys heraus, um diese sofort in ein Restaurant zur 'Weiterverarbeitung' zu liefern." Der Bericht zeigt im folgenden 13 extrem verstörende Bilder von Föten oder Säuglingen in verschiedenen Stadien der Zubereitung als Grillmahlzeit oder Suppe. Zwei der Bilder zeigen einen Mann bei einer solchen kannibalischen Mahlzeit. Darunter heißt es: "Diese Fotos eines weiblichen Babys sind mit versteckter Kamera vor etwa drei Jahren gemacht worden. Der Journalist hat die Fotos in einem öffentlichen Restaurant in der Stadt Foshan, in der Provinz Kanton gemacht, als er von einem 'Kundigen' dahin gebracht wurde. Es ist ein Spezialrestaurant, in welchem unter den Geheimnamen 'Kotelett', gebratenes Baby und als 'Kotelett H' Baby als Suppe bestellt werden kann." ... Wer der Autor ist, der sich im Text selbst als "der Reporter" vorstellt und vorgibt, Augenzeuge all dieser schrecklichen Szenen gewesen zu sein, geht aus dem Text nicht hervor. An seiner Geschichte jedenfalls stimmt nichts. Denn die ekelerregenden Bilder kursierten bereits mehrere Male im Internet, ihr Ursprung ist bekannt.
China intern bleibt allerdings bei seiner Darstellung.

2006-07-14

Chinesen leben mit der Zensur

Die NZZ berichtet heute ausführlich über das pragmatische Umgehen vieler chinesischer Internetnutzer mit den zahlreichen Kontrollmaßnahmen der Regierung in Peking:
Das «goldene Schild» heisst die Internet-Zensur in China, die im Ausland als «Great Firewall» bekannt ist. Sie blockiert Internet-Adressen und filtert Inhalte, um, wie einst die Chinesische Mauer, unerwünschte Eindringlinge fernzuhalten. Vorige Woche kündigte ein Regierungssprecher in Peking an, die Zensur werde weiter verschärft, die Mauer mithin aufgestockt. Neben Medien-Websites und Suchmaschinen soll die 30 000-köpfige Internet-Polizei nun auch Blogs filtern. Chat- Räume werden ebenfalls überwacht, oft von Personen, die in den Büros der Internet-Firmen an Bildschirmen sitzen. Blockiert werden Reizwörter wie Demokratie, 4. Juni, Falun Gong, Dalai Lama, unabhängiges Tibet, Menschenrechte wie auch Porno. Oft wird der ganze Beitrag gestoppt oder sogar die Website. Verstümmelt man Wörter mit Spammer- Tricks wie «Menschen*Rechte», so kommt ein kritischer Kommentar oft durch. Er wird vielleicht später gelöscht. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen publizierte eine Liste von Tricks, wie man die Zensur umgeht; derweil rüsten jene Firmen auf, die elektronische Zensur- und Filterprogramme produzieren. ... Ein nun verabschiedeter Gesetzesentwurf verbietet es den Medien, über ein «plötzliches Ereignis» zu berichten, bevor dies explizit bewilligt worden sei. Gerade über «plötzliche Ereignisse» erfährt man indes schon heute über andere Kanäle mehr, aus der chinesischen Blogosphäre, vom Internet und per Mobiltelefon. Das zeigte schon die Sars- Krise vor drei Jahren. Sie hat die Angst des Regimes vor inoffiziellen Informationswegen geschürt. Damals versandte an einem Februartag eine Ärztin oder ein Pfleger in der südchinesischen Metropole Guangzhou ein SMS mit der Botschaft: «Es gibt eine tödliche Grippe in Guangzhou.» Damit wollte der Absender wohl nur seine Verwandten warnen. Indes wurde die Nachricht in drei Tagen 120 Millionen Mal weitergeleitet. ... Von den Chinesen, die wir gefragt haben, regt sich indes kaum jemand auf. Sie sehen die Zensur wie schlechtes Wetter, man kann nichts machen, arrangiert sich halt. Wenn es um unautorisierte Meldungen aus der Regierung geht, akzeptieren viele die Zensur sogar. Natürlich sei es Verrat eines Staatsgeheimnisses, wenn ein Politiker seinen Rücktritt plane und jemand dies publik mache, bevor die Regierung es offiziell bekannt gebe, fand eine sonst liberale junge Frau. Die Regierung verliere dabei ihr Gesicht; da sei es verständlich, wenn ein Journalist bestraft werde. ... Nur wenige chinesische Blogs sind explizit politisch, einige klagen über Korruption, Ungerechtigkeiten oder Grossprojekte. Viele Blogger stellen sich als Individualisten dar, oft recht privat. Auch das kann politisch sein. Die Lage kann sich rasch ändern, wenn «es brennt». Da in China nur wenige den politischen Alltag verfolgen, dürfte das Internet, wie Umfragen zeigen, dennoch die wichtigste Informationsquelle junger Leute sein.